Ich hatte Depressionen.

Wie das damals so war, 2012. Ich, eine 23-jährige Psychologie-Studentin, die eine Prüfung nach der anderen hochmotiviert hinter sich gebracht hat und das Gefühl hatte, es läuft alles bestens. Ich war zu dem Zeitpunkt schon drei Jahre lang in Wien und lebte mit meinem damaligen Freund in einer schönen Wohnung, in der ich mich wohl fühlte. Wir waren seit neun Jahren ein Paar und führten eine sehr harmonische und wertschätzende Beziehung. Von außen betrachtet gab es nichts, das mir gefehlt hätte. Mein Leben schien super zu sein.

Nach einem stressigen Juni, in dem ich viele große und aufwendige Prüfungen absolviert hatte, folgte die lang ersehnte Sommerpause. Ferie-e-e-n! Ich habe mich im Vorfeld schon sehr darauf gefreut mal nicht lernen zu müssen und dann war die Zeit da und plötzlich stand ich vor der Aufgabe, mir zu überlegen, was ich nun mit der vielen Freizeit machen soll. Ich war müde vom vielen lernen, also dachte ich mir, ich mach jetzt gleich mal nichts Aktives und genieß es zur Abwechslung mal den ganzen Tag auf der Couch vor dem Fernseher zu verbringen. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich sonst hätte machen sollen, wenn ich ehrlich bin. Da gab es so viele Monate lang ja nichts außer lernen für mich. Für Hobbys habe ich mir nie Zeit genommen bzw. wusste ich gar nicht, was mir Spaß machen würde und auch Freundschaften pflegte ich zu dieser Zeit keine. Ich hatte meinen Freund mit dem ich gerne Zeit verbrachte und am Wochenende besuchte ich meine Familie im 70 km entfernten Örtchen, aber sonst war da nicht viel los bei mir.

Bei schönem Wetter hatte ich mir oft gewünscht, dass es so wie früher in der Jugend wäre. Da bin ich oft, auch gerne jeden Tag mit Freunden schwimmen gegangen oder habe zu Hause den Garten zum Sonnen genutzt. Aber diese Möglichkeiten sah ich in Wien für mich nicht. Mein Freund arbeitete jeden Tag bis 18 Uhr und Freunde hatte ich keine. Meine Uni-Kolleginnen haben mich schon ab und zu gefragt, ob ich mitkommen möchte, um dieses oder jenes zu tun, aber irgendwas in mir hat mich daran gehindert diese Angebote anzunehmen und so habe ich Woche für Woche im Juli und dann auch im August in einer über 30 Grad heißen Dachgeschosswohnung in Wien verbracht.

Ende August habe ich dann bereits starke Veränderungen an mir wahrgenommen. Von meiner einstigen Motivation und Lebenslust war nicht mehr viel übrig. Durch den geringen Sozialkontakt, der sich oft tagelang nur auf meinen Freund beschränkte, bin ich im Umgang mit anderen Menschen immer unsicherer geworden. Meine Stimmung war gedrückt und ich lachte nur noch selten bzw. war es mir eigentlich gar nicht mehr möglich von Herzen zu lachen. Mein Appetit hat sich mit der Zeit dann auch sehr umgestellt. Ich habe immer gerne gegessen und leckere Speisen mit Genuss zu mir genommen. Essen wurde für mich zur Qual. Ich wusste, dass ich essen musste, da ich sonst keine Energie habe, aber zu dieser Zeit war jeder Biss für mich zu einer Herausforderung geworden. Ich hasste es essen zu müssen. Und als wäre das alles nicht eh schon mehr als genug, konnte ich dann auch irgendwann nicht mehr richtig schlafen. Ich schlief zwar meistens schnell ein, vor allem wenn der Fernseher nebenbei spielte, aber ein paar Stunden später, war ich wieder wach. Ich verbrachte viele Nachtstunden damit an die Decke zu starren und versuchte immer wieder verzweifelt einzuschlafen. Aber oft gelang mir das auch nicht und so wurden die Tage auch immer beschwerlicher für mich. Ich war tagsüber müde und unmotiviert und sah dann irgendwann auch keinen Sinn mehr darin überhaupt aus dem Bett zu steigen oder meinen Pyjama gegen andere Kleidung zu tauschen. So lang ich dann da, schaute Fernsehen und merkte, dass dieses tiefe Loch in das ich da gefallen war immer und immer größer wurde. Zu diesem Zeitpunkt war mein Zustand einfach nur noch unerträglich für mich. Ich habe erkannt, dass es so nicht weitergehen konnte, aber was ich dagegen tun könnte, wusste ich damals nicht.

Ich habe mich sehr für meinen Zustand geschämt und mich damals auch nur meinem Freund, meiner Mama und Schwester anvertraut. Die haben natürlich ihr bestmögliches gegeben, um mir zu helfen, aber waren damit auch heillos überfordert. Ich kann mich an etliche Stunden erinnern, in denen mein Freund Listen mit mir erstellte und wir zusammen Punkte sammelten, was liebenswert an mir ist. Zahlreiche Versuche meinen nicht mehr vorhandenen Selbstwert wiederherzustellen. Ich konnte nichts mehr davon annehmen, wenngleich ich seine Bemühungen sehr schätzte. Auch andere lieb gemeinte Handlungen folgten, welche mir aber im Endeffekt nur noch deutlicher aufzeigten, dass alles was von außen kommt gerade zwecklos ist.

Ich habe sehr lange mit mir gehadert professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich war eine junge Psychologie-Studentin, die plötzlich psychische Probleme hatte. Ich hatte Angst davor, dass ich meine Ausbildung mit einem „Outing“ aufs Spiel setzen würde und auch davor abgestempelt zu werden. Ich wollte nicht das psychisch labile Mädel sein, das scheinbar nichts mehr auf die Reihe kriegt. Da waren so viele Ängste, aber schließlich musste ich handeln und konnte so auch nicht mehr weitermachen. Also habe ich allen Mut zusammengenommen und mir in der Hoffnung auf Besserung einen Termin bei einer Psychotherapeutin ausgemacht.

Vor meiner ersten Einheit bei der Therapeutin war ich irrsinnig aufgeregt und hab auch viel darüber nachgedacht, was ich der Dame überhaupt alles mitteilen möchte. Wie gesagt, ich hatte große Angst, dass mir das alles irgendwann auf den Kopf fallen wird. So saß ich dann ein paar Tage nach meinem Anruf auf der Couch bei der Therapeutin und gab ihr spärliche Auskünfte über mein Leben und schilderte ihr hauptsächlich meinen derzeitigen Zustand. Nach den Einheiten ging es mir meistens besser, aber das hielt nie lange an und ich befand mich Stunden später wieder in meinem Loch im freien Fall.

Nach drei Einheiten bei der Psychotherapeutin war mir klar, dass das alleine mir nicht helfen wird. Ich sprach mit meiner Mama darüber, einen Facharzt für Psychiatrie aufzusuchen, da ich der Ansicht war, dass ich ohne Antidepressiva nicht mehr zurück ins Leben finden würde. Ich erinnere mich als wäre es erst gestern gewesen, als meine Mama mir ihre Bedenken diesbezüglich mitteilte. Sie vertrat die Laienmeinung, dass man von Psychopharmaka jeglicher Art sofort abhängig werden würde und man sich doch einfach nur wieder zusammenreißen muss und dann geht’s auch wieder bergauf. Einen Tag später habe ich mir einen Termin bei deinem Psychiater ausgemacht. Sich zusammenzureißen geht absolut nicht, wenn man depressiv ist. Ich sah keinen anderen Ausweg mehr für mich.

Ich bekam glücklicherweise noch am selben Tag einen Termin beim Facharzt. Ich erzählte dem netten Herrn von meinem Zustand und er meinte schließlich emotionslos, dass ich eine klassische Depression, wie aus dem Lehrbuch, habe. Im nächsten Augenblick schob er mir ein Rezept über den Tisch und ich begann Antidepressiva in einer niedrigen Dosierung zu nehmen.

Die Tage nach der Ersteinnahme merkte ich zunächst keine Verbesserung meines Befindens. Ich hatte sogar das Gefühl, dass meine innere Unruhe noch schlimmer geworden wäre. Der Arzt warnte mich zum Glück vor, dass dies ganz häufig zu Beginn der Fall sei und die Medikation erst nach ca. zwei Wochen zu einem merklichen Unterschied führen würde. Und so war es dann schließlich auch. Der Aufschwung kam und ich sah mich allmählich in der Lage in Babyschritten wieder ins Leben zurückzukehren.

Als es mir schließlich deutlich besser ging, beschloss ich es erneut mit Psychotherapie zu versuchen. Ich suchte mir eine neue Therapeutin und wollte diesmal alle Karten auf den Tisch legen. Mir wurde im Nachhinein klar, dass Therapie nur wirken kann, wenn man bereit ist sich zu öffnen. Informationen, die nicht gegeben werden, können nicht berücksichtigt werden. Mit viel Mut und deutlich mehr Kraft als beim ersten Anlauf, begann ich also von vorne. Mir wurde in den Einheiten immer mehr bewusst, was da schief gelaufen war bei mir und dass ich null Wert auf Selbstfürsorge gelegt habe.

Ich überlegte viel, was mir eigentlich Spaß macht, wie ich meine Zeit wohltuend nutzen könnte und probierte unterschiedliche Sachen aus. Was mir schließlich Freude bereitet hat, war zum Beispiel Sport. Ich konnte mir nie vorstellen, dass ich mal gerne, und schon gar nicht alleine, ins Fitnessstudio gehen würde, aber ich tat es und es wurde zu meinem Hobby. Was mir auch sehr geholfen hat, war meine sozialen Ängste zu überwinden. Das war zu Beginn gar nicht so leicht. Schrittweise wurde ich im Umgang mit anderen aber wieder viel offener und baute mir nach und nach einen Freundeskreis auf. Heute habe ich viele Freunde und Menschen melden mir immer wieder zurück, dass sie sich sehr wohl in meiner Nähe fühlen. Das habe ich mir immer gewünscht und ich genieße es mittlerweile jeden Tag meine Zeit mit lieben Menschen zu verbringen.

Nachdem ich viele Sachen erkannt habe, die dazu geführt haben, dass ich einst in dieses tiefe Loch gefallen bin und angefangen habe mein Leben und mich zu verändern, konnte ich nach sechs Monaten wieder gut ohne Antidepressiva leben. Ich achte seither viel mehr auf eine gute Balance und vor allem auf mein Wohlbefinden. Meine Depressionszeit zählt gewiss zu einer der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens, aber ich würde sie rückblickend auch als eine der wertvolltesten überhaupt bezeichnen.

Nachdem ich mittlerweile als Klinische Psychologin arbeite, kann ich durch meine eigene Erfahrung sehr gut nachempfinden, wie es vielen meiner PatientInnen geht. Ich kann die Hoffnungslosigkeit und auch die Ängste jeder/s Einzelnen verstehen. Und genau deshalb habe ich mich dazu entschieden meine Geschichte zu teilen. Depression oder auch andere psychische Erkrankungen sucht man sich nicht aus. Sie sind schrecklich und machen Angst. Sie sind leider nach wie vor oft schambesetzt und das sollte nicht länger so sein. In vielen Fällen ist eine psychische Diagnose keine Lebenszeitdiagnose. Je schneller man die richtige Hilfe bekommt, desto schneller geht’s dann auch oft wieder aufwärts. Mut ist der erste Schritt zur Veränderung! Im Jahr 2022 und trotz weiterer Schicksalsschläge und vielen Berg- und Talfahrten kann ich sagen: Das Leben ist schön!

Ich wünsche jeder/m Einzelnen den Mut und die Kraft für sein Recht auf ein schönes Leben zu kämpfen!

Alles Liebe,
Katrin